Über Jahrhunderte hinweg war die Universität von Halle die wichtigste Universität Preußens und zog daher auch Studenten aus anderen Ländern wie Ludwig Stur, Vuk Karadžić oder Anton Wilhelm Amo an. Auch als Berlin zunehmend Halle den Rang ablief und andere Universitäten ebenfalls an Bedeutung gewannen, hatte Halle weiter einen sehr guten Ruf. Dies gilt besonders für die Agrarwissenschaften, die von Julius Kühn als Universitätsstudium hier begründet wurden.
Als der Litauer Aleksandras Stulginskis (1885-1969) sein Studium der Philosophie und Theologie in Innsbruck nicht zusagte, besann er sich auf sein Elternhaus und ging nach Halle um hier Agronomie zu studieren. An dieses Studium (1910-1915) erinnert eine Gedenktafel in der Ludwig-Wucherer-Straße, denn zurück in Litauen wirkte Stulginskis zunächst als Agronom, doch als die Deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg Litauen besetzten, ging er nach Wilna (Vilnius), engagierte sich in der Volksbildung und wurde Politiker.
Im Jahr 1918 war er einer der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung und 1920 wurde er sogar zum Präsident Litauens gewählt. In der äußerst schwierigen Zeit der 1920er Jahre expandierte Polen auf litauisches Gebiet, was von der Staatengemeinschaft geduldet wurde. Als Gegenmaßnahme annektierte Litauen das Memelland. In dieser Zeit war Stulginskis für die Organisation der Armee zuständig, was als die wichtigste Aufgabe gelten darf, denn zusätzlich zu der polnischen Aggression gab es auch die der Sowjetunion.
Das Land befand sich im Aufschwung, doch ein Staatsstreich reduzierte Stulginskis im Dezember 1926 auf sein vorheriges Amt als Vorsitzenden der Seimas (litauisches Parlament), was er noch bis 1927 blieb. Dann zog er sich angesichts der dramatisch veränderten Lage (Diktatur, Marionetten-Parlamente) auf eine Farm nach Jakobsdorf (Jokūbavas) zurück, wo ein Denkmal an ihn erinnert und die Schule nach ihm benannt ist. Dort wurde er im Jahr 1941 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet und in ein Gulag (Arbeitslager) nach Sibirien (Region Krasnojarsk) verbracht. Auch seine Frau kam in ein Gulag aber in einer anderen Region (Komi), in die er 1954 übersiedeln durfte, um dort in der Forstwirtschaft zu helfen. Erst 1956 wurde ihm erlaubt nach Litauen zurückkehren, nachdem er noch vier Jahre zuvor wegen antikommunistischer Umtriebe zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war. In Litauen lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1969.
Die Gedenktafel wurde von der Deutsch-Litauischen Gesellschaft gestiftet und am 20. Januar 2011 enthüllt. Sie befindet sich in der Ludwig-Wucherer-Straße am ehemaligen Hauptgebäude der Landwirtschaftlichen Fakultät, das nun Teil des GSZ ist. Als zweiter demokratischer Präsident Litauens ist er heute wieder weitgehend rehabilitiert, verschiedene Bildungseinrichtungen sind nach ihm benannt, darunter auch eine Universität bei Kaunas, die aus einer landwirtschaftlichen Akademie hervorging.